Ordentliche Beendigungskündigung bei Arbeitsverweigerung aus religiösen Gründen

Weigert sich der Arbeitnehmer aus Glaubensgründen, eine vom arbeitsvertraglich vereinbarten Leistungsspektrum umfasste Arbeitsleistung zu erbringen, kann dies – je nach den Umständen des Einzelfalls – eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Mit Urteil vom 24. Februar 2011 (- 2 AZR 636/09 -) hat der Zweite Senat entschieden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung von § 106 Satz 1 GewO regelmäßig keine Arbeit zuweisen darf, die diesen in einen nachvollziehbar dargelegten, ernsthaften und unüberwindbaren Glaubenskonflikt brächte.

Beruft sich der Arbeitnehmer auf einen solchen Konflikt erstmals nach erteilter Weisung, kann der Arbeitgeber deshalb verpflichtet sein, erneut von seinem Direktionsrecht Gebrauch zu machen und dem Arbeitnehmer – soweit möglich und zumutbar – eine andere Arbeit zuzuweisen. Der Arbeitnehmer braucht einer ermessensfehlerhaften Anordnung keine Folge zu leisten. Im vom Senat entschiedenen Fall hatte sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber aus Glaubensgründen geweigert, Arbeiten im Umgang mit alkoholhaltigen Getränken durchzuführen. Die beklagte Arbeitgeberin bestand auf den Auffüll- und Verräumarbeiten im Getränkebereich und kündigte dem auf seiner Weigerung beharrenden Kläger. Der Senat verneinte mangels wirksamer Weisung eine durch Fehlverhalten des Klägers gerechtfertigte Kündigung. Die Relevanz oder Wichtigkeit der Gewissensbildung des Arbeitnehmers unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle. Die Weigerung des Arbeitnehmers kann aber geeignet sein, eine Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu rechtfertigen, wenn es dem Arbeitgeber nicht ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, den Arbeitnehmer anderweitig innerhalb des vertraglich vereinbarten Leistungsspektrums oder zu geänderten Vertragsbedingungen unter Vermeidung des Konflikts sinnvoll einzusetzen. Ob dies im konkreten Fall so war, konnte der Senat nicht abschließend beurteilen und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurück. In diesem Zusammenhang muss der Arbeitnehmer die verbleibenden Einsatzmöglichkeiten zumindest in Grundzügen aufzeigen und darlegen, wie er sich eine mit seinen Glaubensüberzeugungen in Einklang stehende Beschäftigung im Rahmen der vom Arbeitgeber vorgegebenen Betriebsorganisation vorstellt. Dem Arbeitgeber wird nicht angesonnen, den Belangen des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Interessen oder derer anderer Arbeitnehmer nachkommen zu müssen. Der Zweite Senat hat sich im Urteil vom 24. März 2011 (- 2 AZR 79/09 -) mit der Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung aus Anlass einer mehrjährigen Freiheitsstrafe des Arbeitnehmers auseinandergesetzt. Für den verurteilten Kläger wurde die Möglichkeit eines offenen Vollzugs zunächst verneint. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. Der Senat hat entschieden, dass nicht jede Freiheitsstrafe ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen muss. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist, hängt es von Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, die Kündigung zu rechtfertigen. Wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt allerdings noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen hat und ein Freigängerstatus oder die vorzeitige Entlassung aus der Haft vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, braucht der Arbeitgeber den Arbeitsplatz für ihn nicht freizuhalten. Überbrückungsmaßnahmen sind dann regelmäßig nicht zumutbar. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, den Arbeitnehmer bei der Erreichung möglicher Maßnahmen der Vollzugslockerung, insbesondere der Erlangung des Freigängerstatus zu unterstützen, soweit dies für ihn – den Arbeitgeber – nicht risikobehaftet ist. Er muss aber einen Arbeitsplatz nicht auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft könne eine Vollzugslockerung erreicht werden, bis zu einer entsprechenden Klärung offen halten. Im vom Senat entschiedenen Fall war die Kündigung aus personenbedingten Gründen
gerechtfertigt. Der Kläger hatte im Kündigungszeitpunkt noch etwa fünf Jahre seiner Freiheitsstrafe zu verbüßen. Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Vollzugslockerung durch die Gewährung von Freigang lagen nicht vor. Das Ergebnis der angedachten erneuten Prüfung der Möglichkeit zur Vollzugslockerung war völlig offen. Bei der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers ist in Fällen wie diesem erschwerend zu berücksichtigen, dass er seinen langen Arbeitsausfall selbst verschuldet hat. Die Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus rechtfertigt nicht in jedem Fall seine ordentliche Kündigung. Zwar haben Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen das verfassungsmäßige Recht, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Als Loyalitätsverstoß kommt auch der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe in Betracht. Eine Kündigung ist nach der Entscheidung des Zweiten Senats vom 8. September 2011 (- 2 AZR 543/10 -) aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Loyalitätsverstoß unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall ein hinreichend schweres Gewicht hat. Im entschiedenen Fall trat der Kläger als Chefarzt in die Dienste der konfessionell gebundenen Beklagten. In der im Dienstvertrag der Parteien in Bezug genommenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes wird von den Mitarbeitern die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet. Der Beklagten war bekannt, dass der Kläger nach Trennung von seiner ersten Ehefrau mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammenlebte. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau heiratete der Kläger seine jetzige Ehefrau standesamtlich. Die Beklagte beschäftigt auch nichtkatholische, wiederverheiratete Chefärzte. Die Kündigung der Beklagten war nicht gerechtfertigt. Zwar hat sich der Kläger einen Loyalitätsverstoß zu Schulden kommen lassen, dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beträchtliches Gewicht zukommt. Insgesamt
überwog jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte hatte sowohl in ihrer Grundordnung als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichtet. Dies zeigte sich sowohl an der Beschäftigung nichtkatholischer wiederverheirateter Ärzte als auch an der Hinnahme des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft von 2006 bis 2008. Zu berücksichtigen war ferner, dass der Kläger zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nach wie vor steht und an ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstand scheiterte. Zu beachten war auch der ebenfalls grundrechtlich geschützte Wunsch des Klägers, mit seiner jetzigen Ehefrau in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben zu dürfen.

Gleicher nach dem AGG?

Der Achte Senat hat in einem Urteil vom 19. August 2010 (- 8 AZR 466/09 -) seine Rechtsprechung noch einmal eingehend bekräftigt, wonach die objektive Eignung einer Bewerberin für die ausgeschriebene Stelle keine Voraussetzung für eine Aktivlegitimation im Hinblick auf Ansprüche nach § 15 AGG ist (vgl. BAG 18. März 2010 – 8 AZR 77/09 -). Die objektive Eignung ist vielmehr Voraussetzung dafür, dass sich die Bewerber in der für die Feststellung einer ungünstigeren Behandlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG notwendigen „vergleichbaren Lage“ befinden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat der Senat die objektive Eignung der abgelehnten Bewerberin verneint. Die – muslimische – Bewerberin hatte sich bei einem Landesverband des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche auf eine Stelle als Sozialpädagogin beworben. Nach der Ausschreibung war für diese Position ein abgeschlossenes Studium der Sozialwissenschaft/Sozialpädagogik erforderlich. Über dieses verfügte die Klägerin nicht. Nach Auffassung des Senats war das in der Stellenausschreibung verlangte Studium nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung für die vorgesehene Tätigkeit geboten. Von diesem in der Ausschreibung zu Recht geforderten Qualifikationsmerkmal war die Beklagte auch bei der Einstellung nicht abgewichen. Auf die Frage, ob eine etwaige Ungleichbehandlung der Klägerin aufgrund der Religion gerechtfertigt gewesen wäre, kam es nicht an.