Altersdiskiminierung im öffentlichen Dienst

In einem Rechtsstreit, in dem der Kläger unter Verweis auf seine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters Vergütung nach der für ihn höchsten Lebensaltersstufe des § 27 BAT begehrt, hatte der Sechste Senat mit Beschluss vom 20. Mai 2010 (- 6 AZR 148/09(A) -) den Rechtsstreit ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht.

Dieser hat mit Urteil vom 8. September 2011 (- C-298/10 – [Mai]) entschieden, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert und durch die RL 2000/78/EG konkretisiert worden ist, und insbesondere die Art. 2 und 6 Abs. 1 dieser Richtlinie dahingehend auszulegen sind, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren  streitigen entgegenstehen, wonach sich innerhalb der jeweiligen Vergütungsgruppe die Grundvergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst bei dessen Einstellung nach seinem Alter bemisst. Insoweit beeinträchtigt die Tatsache, dass das Unionsrecht der betreffenden Maßnahme entgegensteht und dass diese in einem Tarifvertrag enthalten ist, nicht das in Art. 28 der Grundrechte-Charta anerkannte Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen. In dem darauf ergangenen Urteil vom 10. November 2011 (- 6 AZR 148/09 -) hat der Sechste Senat deshalb in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Der Sechste Senat hatte mit Beschluss vom 20. Mai 2010 (- 6 AZR 319/09 (A) -) ein weiteres Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union um Vora bentscheidung gebeten. Dabei ging es um die Frage, ob sich die – möglicherweise – im BAT enthaltene Altersdiskriminierung in dem zum 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen TVöD fortsetzt. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 8. September 2011 (- C-297/10 – [Hennigs]) entschieden, dass die Art. 2 und 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG sowie Art. 28 der Grundrechte-Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, mit der ein Vergütungssystem, das zu einer Diskriminierung wegen des Alters führt, durch ein auf objektive Kriterien gestütztes Vergütungssystem ersetzt wird und zugleich für einen befristeten Übergangszeitraum einige der diskriminierenden Auswirkungen des erstgenannten Systems bestehen bleiben, um für die bereits in einem Beschäftigungsverhältnis bestehenden Angestellten den Übergang zum neuen System ohne Einkommensverluste zu gewährleisten. Der Sechste Senat hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 (- 6 AZR 319/09 -) die Einstufungsklage der Klägerin aufgrund der bei Überleitung zutreffend diskriminierungsfrei herangezogenen Lebensaltersstufe in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen abgewiesen.

Prüfpflicht zur Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen

Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob sie freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen können. Dazu müssen sie frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen.

Die in § 81 Abs. 1 SGB IX geregelte gesetzliche Pflicht trifft alle Arbeitgeber. In einem vom Achten Senat durch Urteil vom 13. Oktober 2011 (- 8 AZR 608/10 -) entschiedenen Fall machte ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber Entschädigung wegen Benachteiligung im Zusammenhang mit seiner Behinderung geltend. Die Beklagte besetzte die Stelle anderweitig, ohne vorher zu prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, und ohne diesbezüglich Kontakt zur Agentur für Arbeit aufgenommen zu haben. Der Kläger verlangte daraufhin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Prüfpflicht zur Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier Stellen besteht für den Arbeitgeber unabhängig davon, ob sich ein schwerbehinderter Mensch beworben hat oder bei seiner Bewerbung diesen Status offenbart hat. Die Verletzung dieser Prüfpflicht stellt ein Indiz dafür dar, dass der Arbeitgeber einen abgelehnten schwerbehinderten Menschen wegen der Behinderung benachteiligt hat, weil er seine Förderungspflichten unbeachtet gelassen hat. Dem Kläger steht eine Entschädigung zu, da der Arbeitgeber die Vermutung einer solchen Benachteiligung nicht widerlegen konnte. Der Senat hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zur Klärung der Höhe der dem Kläger zustehenden Entschädigung zurückverwiesen.

Darlegungslast bei Benachteiligung wegen des Geschlechts

Bei der Frage, ob eine Benachteiligung wegen des Geschlechts besteht, senkt § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF das Beweismaß dahingehend, dass der klagende Arbeitnehmer lediglich Tatsachen vortragen muss, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.

Werden vom Arbeitnehmer Hilfstatsachen vorgetragen, die für sich genommen nicht zur Begründung der Vermutungswirkung ausreichen, ist vom Tatrichter eine Gesamtbetrachtung dahingehend vorzunehmen, ob die Hilfstatsachen im Zusammenhang gesehen geeignet sind, die Vermutungswirkung zu begründen. Dabei können sich auch aus Statistiken grundsätzlich Indizien für eine Geschlechtsdiskriminierung ergeben. Eine Vermutung für ein regelhaft Frauen benachteiligendes Verhalten kann sich aus statistischen Daten aber nur dann ergeben, wenn sie sich konkret auf den betreffenden Arbeitgeber beziehen und im Hinblick auf dessen Verhalten einem Geschlecht gegenüber aussagekräftig sind. Gegen die Berücksichtigung von Statistiken spricht nicht, dass damit möglicherweise von in der Vergangenheit erfolgten Diskriminierungen auf die Gegenwart geschlossen wird. Regelhaft dem Geschlecht gegenüber gelebtes Verhalten kann nämlich gerade nur durch die Betrachtung der Vergangenheit ausgemacht werden. Um beurteilen zu können, ob signifikant weniger Frauen als Männer die Hierarchiestufe oberhalb einer angenommenen „gläsernen Decke“ erreichen, muss festgestellt werden, wie viele Frauen unterhalb dieser angekommen sind. Hierüber sagt der Anteil von Frauen an der Gesamtbelegschaft nichts aus. Die fehlende Repräsentation von Frauen auf der Führungsebene entsprechend dem Anteil an der Gesamtbelegschaft lässt auch nicht allgemein in Bezug auf Frauen auf aufstiegsfeindliche und damit diskriminierende Strukturen, Denkens- oder Verhaltensweisen bei der Beklagten schließen. Die bloße Abbildung (diskriminierender) gesellschaftlicher Verhältnisse im Unternehmen stellt keine rechtlich relevante Diskriminierung dar. Ein Arbeitgeber ist nämlich nicht in der Lage,
geschweige denn verpflichtet, gesellschaftliche Gegebenheiten, die der Erwerbstätigkeit und/oder dem beruflichen Aufstieg von Frauen entgegenstehen, durch seine Personalpolitik auszugleichen. Das Landesarbeitsgericht darf bei der von ihm vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht nur solche Tatsachen berücksichtigen, denen gleichsam ein „roter Faden“ innewohnt. Es ist nicht erforderlich, dass diese Tatsachen denselben Bereich betreffen oder zeitgleich von denselben Personen gesetzt worden sind. Der Senat hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Gleicher nach dem AGG?

Der Achte Senat hat in einem Urteil vom 19. August 2010 (- 8 AZR 466/09 -) seine Rechtsprechung noch einmal eingehend bekräftigt, wonach die objektive Eignung einer Bewerberin für die ausgeschriebene Stelle keine Voraussetzung für eine Aktivlegitimation im Hinblick auf Ansprüche nach § 15 AGG ist (vgl. BAG 18. März 2010 – 8 AZR 77/09 -). Die objektive Eignung ist vielmehr Voraussetzung dafür, dass sich die Bewerber in der für die Feststellung einer ungünstigeren Behandlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG notwendigen „vergleichbaren Lage“ befinden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat der Senat die objektive Eignung der abgelehnten Bewerberin verneint. Die – muslimische – Bewerberin hatte sich bei einem Landesverband des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche auf eine Stelle als Sozialpädagogin beworben. Nach der Ausschreibung war für diese Position ein abgeschlossenes Studium der Sozialwissenschaft/Sozialpädagogik erforderlich. Über dieses verfügte die Klägerin nicht. Nach Auffassung des Senats war das in der Stellenausschreibung verlangte Studium nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung für die vorgesehene Tätigkeit geboten. Von diesem in der Ausschreibung zu Recht geforderten Qualifikationsmerkmal war die Beklagte auch bei der Einstellung nicht abgewichen. Auf die Frage, ob eine etwaige Ungleichbehandlung der Klägerin aufgrund der Religion gerechtfertigt gewesen wäre, kam es nicht an.

Aufforderung Deutsch zu lernen kein Verstoß gegen AGG

Der Achte Senat hat mit Urteil vom 22. Juni 2011 (- 8 AZR 48/10 -) entschieden, dass die Aufforderung des Arbeitgebers an eine Arbeitnehmerin, an einem Deutschkurs teilzunehmen, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse für eine zulässigerweise angeordnete Tätigkeit zu erlangen, keinen Verstoß gegen das AGG darstellt.

Selbst wenn der Arbeitgeber vertraglich oder tarifvertraglich verpflichtet ist, die Kosten des geforderten Deutschkurses zu tragen oder es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, diesen während der Arbeitszeit durchzuführen, ist die Weisung, einen Deutschkurs auf eigene Kosten und außerhalb der Arbeitszeit zu besuchen, zwar rechtswidrig, stellt aber auch dann keine Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft dar. Die Arbeitnehmerin muss in diesem Fall ihre vertraglichen oder tarifvertraglichen Rechte – notfalls auch gerichtlich – geltend machen. Die Aufforderung an die Klägerin, ihre Deutschkenntnisse durch Teilnahme an einem Deutschkurs zu verbessern, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar. Die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift ist von der Rasse oder Ethnie unabhängig. Die Forderung nach dem Besuch von Deutschsprachkursen kann eine mittelbare Diskriminierung von Ausländern darstellen, wenn diese nicht aufgrund der (vorgesehenen) Tätigkeit sachlich gerechtfertigt ist. Die Aufforderung durch den Arbeitgeber, einen Sprachkurs zu absolvieren, weil dieser die Sprachkenntnisse des Arbeitnehmers zur Durchführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit für unzureichend hält, ist keine Belästigung iSd. AGG, wenn der Sprachkurs dazu dient, arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse zu vermitteln. Allein die Verletzung allgemeiner arbeitsvertraglicher Verpflichtungen durch den Arbeitgeber im Zusammenhang einer an sich nicht gegen § 7 AGG verstoßenden Maßnahme führt nicht dazu, dass diese nunmehr zu einer unzulässigen Benachteiligung iSd. § 1 AGG wird. Insofern hat der Achte Senat wie die Vorinstanzen auch die Entschädigungsklage abgewiesen.

Anspruch auf Diskriminierungsauskunft

Durch Beschluss vom 20. Mai 2010 (- 8 AZR 287/08 (A) -) hat der Achte Senat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung gebeten, ob die Beweislastregelungen in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG, Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG es gebieten, einem – erfolglosen – Bewerber, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfüllt, einen Anspruch auf Auskunft gegen den Arbeitgeber einzuräumen, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat, und, wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist.

Im Ausgangsfall hatte die Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG wegen geschlechts-, alters- und ethnisch bedingter Benachteiligung bei einer Stellenbesetzung
geltend gemacht. Aus dem Vortrag der Klägerin ergaben sich keine Indizien, die eine Benachteiligung wegen dieser Diskriminierungsmerkmale gemäß § 22 AGG vermuten ließen. Dem abgelehnten Stellenbewerber steht in einem solchen Fall weder aus § 242 BGB noch aus § 241 Abs. 2 BGB oder nach dem AGG ein Anspruch auf Auskunft gegen den Arbeitgeber zu. Möglicherweise muss ein solcher Anspruch, um den Beweislastregelungen der Richtlinien zu genügen, in unions-rechtskonformer Auslegung des AGG entwickelt werden. Die Nichterteilung der Auskunft könnte dann ggf. als ein Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung angesehen werden.