Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten

Bei der Änderung einer im Betrieb bestehenden Vergütungsordnung besteht hinsichtlich der in ihr enthaltenen Entlohnungsgrundsätze ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Entlohnungsgrundsätze sind die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt. Zu ihnen gehören Regelungen über die Eingruppierung der von den Arbeitnehmern auszuübenden Tätigkeit.

Die in einer solchen Vergütungsordnung enthaltenen Grundsätze bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, neu eingestellte Arbeitnehmer in die im Betrieb geltende Vergütungsordnung einzugruppieren. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kann im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers allerdings durch den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Halbs. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat nur mitbestimmen kann, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, beschränkt oder ausgeschlossen sein. Ist der Arbeitgeber nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG an einen Tarifvertrag gebunden, in dem ein Vergütungssystem für die Arbeitnehmer enthalten ist, besteht eine tarifliche Regelung iSd. § 87 Abs. 1 Halbs. 1 BetrVG. Auf die Tarifbindung der Arbeitnehmer kommt es nicht an. Der Ausschluss des Mitbestimmungsrechts führt allerdings nicht dazu, dass der Arbeitgeber die in der Vergütungsordnung enthaltenen Entlohnungsgrundsätze einseitig ändern kann. Der Erste Senat hat daher im Beschluss vom 18. Oktober 2011(- 1 ABR 25/10 -) einen tarifgebundenen Arbeitgeber nicht für berechtigt gehalten, eine im Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung nicht mehr auf alle, sondern nur auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer anzuwenden. Vielmehr waren auch die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in die für den Arbeitgeber geltende Vergütungsordnung einzugruppieren. Zu den nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmungspflichtigen betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz gehört auch die durch § 12 ArbSchG dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung, die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu unterweisen. Einigen sich die Betriebsparteien nicht über Art und Inhalt der Unterweisung, hat das die Einigungsstelle zu regeln. Hierbei hat sie die Erkenntnisse einer Gefährdungsbeurteilung (§ 5 Abs. 1 ArbSchG) zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten. Sie kann ihren Regelungsauftrag allerdings nur vollständig erfüllen, wenn sie die konkreten Gefahren am Arbeitsplatz in den Blick nimmt und hierauf aufbauend konkrete, arbeitsplatzbezogene Bestimmungen beschließt. Der Erste Senat hat deshalb am 11. Januar 2011 (- 1 ABR 104/09 -) entschieden, dass ein Einigungsstellenspruch zu Unterweisungen der Arbeitnehmer nach § 12 ArbSchG unwirksam ist, wenn in dem Betrieb vor der Beschlussfassung keine Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen wurden. Wegen der fehlenden Gefährdungsbeurteilung enthält der Spruch Regelungen „ins Blaue hinein“, die den darauf bezogenen Konflikt der Betriebsparteien keiner vollständigen Lösung zuführen und auch nicht zuführen können. Die Betriebsparteien können nach dem Urteil des Ersten Senats vom 12. April 2011 (- 1 AZR 412/09 -) in einer Betriebsvereinbarung den Anspruch auf eine im Synallagma stehende variable Erfolgsvergütung nicht davon abhängig machen, dass das Arbeitsverhältnis zu einem Auszahlungstag außerhalb des Bezugszeitraums vom Arbeitnehmer ungekündigt besteht. Eine solche Stichtagsregelung betrifft weder einen Verteilungsgrundsatz iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG noch eine Auszahlung des Arbeitsentgelts nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Sie bewirkt der Sache nach vielmehr, dass der Arbeitgeber entgegen § 611 Abs. 1 BGB keine Vergütung für die nach Maßgabe der Zielvereinbarung geleisteten Dienste erbringen muss. Damit verletzen die Betriebsparteien die beim Abschluss einer solchen freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrVG) gemäß § 75 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu beachtenden Binnenschranken, wozu auch § 611 Abs. 1 BGB zählt. Auch Leistungen, die an den Unternehmenserfolg geknüpft sind, werden regelmäßig als zusätzliche Vergütung für eine im Geschäftsjahr erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gezahlt. Darüber hinaus stellt es auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers dar, wenn diesem eine bereits verdiente Arbeitsvergütung entzogen wird, um eine vom Arbeitnehmer veranlasste Arbeitsplatzaufgabe zu verzögern oder zu verhindern. Die damit verbundene Beschränkung der Arbeitsplatzwahlfreiheit berücksichtigt völlig einseitig die Interessen des Arbeitgebers am Verbleib des Arbeitnehmers und sein Bedürfnis, einen aus seiner Sicht unerwünschten Wechsel, ggf. zu einem Wettbewerber, zumindest zu verzögern oder gar zu verhindern.

Mitbestimmung bei Ein- und Umgruppierung

Wie der Siebte Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2011 (- 7 ABR 34/09 -) entschieden hat, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat beteiligen, wenn er Arbeitnehmer den Entgeltgruppen des Entgeltrahmen-Tarifvertrags für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom 16. September 2003 (ERA-TV) zuordnet.

Es handelt sich dabei um eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Eingruppierung. Eine Ein- oder Umgruppierung im Sinne dieser Bestimmung ist die rechtliche Beurteilung des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung oder einer von mehreren Vergütungsordnungen zugeordnet ist. Dagegen ist die abstrakte Bewertung einer Stelle, eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit selbst keine der Mitbestimmung nach § 99 BetrVG unterfallende personelle Einzelfallmaßnahme. Daher besteht bei der Bewertung und Einstufung von Arbeitsaufgaben nach dem im ERA-TV festgelegten Verfahren kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Der Arbeitgeber hat aber darüber hinaus dem Beschäftigten und dem Betriebsrat nach § 9.2 ERA-TV die sich aufgrund der Einstufung der Arbeitsaufgabe ergebende Entgeltgruppe mitzuteilen. Das setzt zwingend die Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Entgeltgruppe sowie die damit einhergehende Einschätzung des Arbeitgebers voraus, dass der Arbeitnehmer die einer bestimmten Bewertung und Einstufung entsprechende Arbeitsaufgabe ausführt. Hierin liegt die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung. Das Mitbestimmungsrecht entfällt nicht deshalb, weil die Beurteilung des Arbeitgebers und demzufolge die Mitbeurteilung des Betriebsrats aufgrund der konkreten Vorgaben der Vergü-tungsordnung stark eingeschränkt sind. Die Tarifvertragsparteien des ERA-TV haben das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen auch nicht etwa beseitigt. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält Mindestbestimmungen über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Die Tarifvertragsparteien können diese nicht wirksam ausschließen, sofern nicht das Betriebsverfassungsgesetz selbst eine solche Möglichkeit – etwa nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG – vorsieht. Der Siebte Senat hat mit Beschluss vom 4. Mai 2011 (- 7 ABR 10/10 -) seine ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach der Betriebsrat in Fällen, in denen der Arbeitgeber die gebotene Ein- oder Umgruppierung eines Arbeitnehmers unterlässt, in entsprechender Anwendung von § 101 BetrVG zur Sicherung seines Mitbeurteilungsrechts nach § 99 Abs. 1 BetrVG beim Arbeitsgericht beantragen kann, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Ein- oder Umgruppierungsentscheidung vorzunehmen, ihn um Zustimmung zu ersuchen und im Falle der beachtlichen Zustimmungsverweigerung das arbeitsgerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten. Die Verpflichtung zur Ein- und Umgruppierung setzt eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung voraus. Woraus sich die Geltung der Vergütungsordnung ergibt, ist unerheblich. Sie kann in einem Tarifvertrag enthalten sein, auf einer Betriebsvereinbarung beruhen, aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen im Betrieb allgemein zur Anwendung kommen oder vom Arbeitgeber einseitig beschlossen sein. Für die betriebliche Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG kommt es nicht auf einen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers auf die Anwendung des Tarifvertrags, sondern darauf an, ob die Vergütungsordnung im Betrieb gilt. Allerdings gilt eine tarifliche Vergütungsordnung für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer nicht unmittelbar und zwingend (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Dies bedeutet aber nicht, dass deshalb die betriebsverfassungsrechtliche Pflicht des Arbeitgebers zur Eingruppierung dieser Arbeitnehmer entfiele. Es geht bei der Pflicht des Arbeitgebers zur Ein- oder Umgruppierung – jedenfalls primär – nicht um die Prüfung individueller Vergütungsansprüche, sondern um die Beachtung der kollektiv geltenden Vergütungsordnung. Der Senat hat nicht entscheiden, welche Wirkung auf die individuellen Ansprüche des einzelnen Arbeitnehmers die betriebsverfassungsrechtlich gebotene Eingruppierung hat, die der Arbeitgeber mit – unmittelbar erteilter oder vom Arbeitsgericht ersetzter  Zustimmung des Betriebsrats vornimmt. Jedenfalls folgt aus der Pflicht des Arbeitgebers, auch nicht tarifgebundene Arbeitnehmer in die in seinem Betrieb geltende tarifliche Vergütungsordnung einzugruppieren, nicht ohne Weiteres ein mit der Eingruppierung korrespondierender Anspruch dieser Arbeitnehmer.

Mitbestimmung und Mitwirkung des Betriebsrats

Schließen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Vergütungsordnung, liegt darin nach einem Urteil des Ersten Senats vom 22. Juni 2010 (- 1 AZR 853/08 -) zugleich die Ausübung des dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zustehenden Mitbestimmungsrechts für die zukünftige Anwendung der in der Vereinbarung zum Ausdruck kommenden Entlohnungsgrundsätze.

Die Beendigung der Betriebsvereinbarung führt deswegen regelmäßig nicht zum ersatzlosen Fortfall der bisher im Betrieb geltenden Vergütungsstruktur. Es endet lediglich die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zwingende Wirkung der Entlohnungsgrundsätze. Infolgedessen bedarf deren Änderung auch nach Ablauf der Betriebsvereinbarung der Zustimmung des Betriebsrats oder einer ersetzenden Entscheidung der Einigungsstelle nach § 87 Abs. 2 BetrVG. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der nicht tarifgebundene Arbeitgeber entgegen den Regelungen einer Betriebsvereinbarung eine jährliche Monatszuwendung sukzessive abgesenkt und zuletzt nur noch in Höhe eines halben Bruttoentgelts gezahlt. Diese Maßnahme hätte der Mitbestimmung des Betriebsrats bedurft, weil in der durch die Betriebsvereinbarung festgelegten Gesamtvergütung für alle Beschäftigte gleich hohe Vergütungsbestandteile enthalten waren und sich deshalb durch die Absenkung der Monatszuwendung der relative Abstand der Gesamtvergütungen zueinander änderte. Da der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht beachtet hatte, konnten die betroffenen Arbeitnehmer nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmten Entlohnungsgrundsätze verlangen. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütungshöhe wird in einem solchen Fall von Gesetzes wegen durch die Verpflichtung des Arbeitgebers ergänzt, die Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten.

Haben die Betriebsparteien in einem Sozialplan die wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehen, angemessen ausgeglichen, können sie in einer weiteren freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG zusätzlich zu den bestehenden Sozialplanleistungen finanzielle Anreize zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags vereinbaren. Dies hat der Erste Senat in einem Urteil vom 18. Mai 2010 (- 1 AZR 187/09 -) entschieden. Im Streitfall enthielt die freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung eine Stichtagsregelung, nach der nur die Arbeitnehmer ein Angebot auf Zahlung einer zusätzlichen Abfindung erhielten, die bei Inkrafttreten der Vereinbarung noch keinen Aufhebungsvertrag geschlossen hatten. Diese Differenzierung verstieß nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG. Die Gesamtbetriebsvereinbarung unterlag nicht den für Sozialpläne aus § 112 Abs. 1 BetrVG folgenden Regelungsbeschränkungen (vgl. dazu BAG 19. Februar 2008 – 1 AZR 1004/06 -). Die Betriebsparteien können in der freiwilligen Betriebsvereinbarung Regelungen treffen, die dazu dienen, das arbeitgeberseitige Interesse an einem zügigen Personalabbau durch einvernehmliche Vertragsbeendigungen zu verwirklichen. In Anbetracht dieser Anreizfunktion durften sie auch diejenigen Arbeitnehmer ausschließen, die zur einvernehmlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses keines weiteren Anreizes mehr bedurften. Eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wonach der Arbeitgeber bei der Verletzung von Mitbestimmungsrechten eine Vertragsstrafe an einen Dritten zu zahlen hat, ist nach einem Beschluss des Ersten Senats vom 19. Januar 2010 (- 1 ABR 62/08 -) unwirksam. Eine solche Vertragsstrafenabrede widerspricht zwingenden Grundsätzen zur Gewährleistung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Das BetrVG weist dem Betriebsrat die Aufgabe zu, auf die Einhaltung dieser Ordnung hinzuwirken. Dabei stellt es deren Durchsetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Betriebsrats. Kommt der Arbeitgeber einer gerichtlichen Entscheidung nicht nach, haben ihn die Arbeitsgerichte auf Antrag des Betriebsrats durch Ordnungs- oder Zwangsgeld zu einem gesetzeskonformen Verhalten anzuhalten. Die beigetriebenen Ordnungs- bzw. Zwangsgelder verfallen der Staatskasse. Dies sichert die äußere Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrats. Das Vertragsstrafeversprechen zielt dagegen nicht auf die Wiederherstellung eines betriebsverfassungsgemäßen Zustands, sondern hat reinen Strafcharakter. Dass der Arbeitgeber von der Beteiligung des Betriebsrats gegen Zahlung der vereinbarten Strafe absehen kann, kommt einem „Abkauf“ gesetzlicher Rechte gleich. Durch die finanzielle Begünstigung Dritter kann zudem der Eindruck entstehen, der Betriebsrat mache die Wahrnehmung seiner Rechte von sachfremden Erwägungen abhängig.