Unzureichende Berücksichtigung des Lebensalters als Fehler bei der Sozialauswahl

Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers neben weiteren im Gesetz genannten sozialen Aspekten das Lebensalter des Arbeitnehmers nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Die Regelung zielt darauf ab, ältere Arbeitnehmer bei Kündigungen zu schützen. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann die Sozialauswahl zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur auch innerhalb von Altersgruppen – etwa der der 21 bis 30 Jahre alten, der der 31 bis 40 Jahre alten Arbeitnehmer usf. – vorgenommen werden. Das Lebensalter ist dann nur im Rahmen der jeweiligen Gruppe von Bedeutung. Der Altersaufbau der Belegschaft bleibt auf diese Weise weitgehend erhalten. Nach dem Urteil des Zweiten Senats vom 15. Dezember
2011 (- 2 AZR 42/10 -) verstößt der gesetzliche Regelungskomplex der Sozialauswahl nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000. Er führt zwar zu einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters. Diese ist aber durch rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a) der Richtlinie gerechtfertigt. Einerseits tragen die Regelungen den mit steigendem Lebensalter regelmäßig sinkenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung. Andererseits wirken sie durch die Möglichkeit der Bildung von Altersgruppen der ausschließlich linearen Berücksichtigung des ansteigenden Lebensalters und einer mit ihr einhergehenden Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer entgegen. Das Ziel, ältere Arbeitnehmer zu schützen, und das Ziel, die berufliche Eingliederung jüngerer Arbeitnehmer sicherzustellen, werden zu einem angemessenen Ausgleich gebracht. Dies dient zugleich der sozialpolitisch erwünschten Generationengerechtigkeit und der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung. Der Senat brauchte den Gerichtshof der Europäischen Union nicht um Vorabentscheidung zu ersuchen. Die uni-
onsrechtliche Lage ist durch mehrere Entscheidungen des Gerichtshofs aus den letzten Monaten hinreichend geklärt. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf dieser Grundlage – wie schon die Vorinstanzen – die Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin abgewiesen, die ua. die Bildung und den Zuschnitt von Altersgruppen in einer Auswahlrichtlinie von Arbeitgeberin und Betriebsrat gerügt hatte.

Eintrittsgehaltsbemessung nach Alter

In einem Rechtsstreit, in dem der Kläger unter Verweis auf seine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters Vergütung nach der für ihn höchsten Lebensaltersstufe des § 27 BAT begehrt, hatte der Sechste Senat mit Beschluss vom 20. Mai 2010 (- 6 AZR 148/09(A) -) den Rechtsstreit ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht.

Dieser hat mit Urteil vom 8. September 2011 (- C-298/10 – [Mai]) entschieden, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert und durch die RL 2000/78/EG konkretisiert worden ist, und insbesondere die Art. 2 und 6 Abs. 1 dieser Richtlinie dahingehend auszulegen sind, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach sich innerhalb der jeweiligen Vergütungsgruppe die Grundvergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst bei dessen Einstellung nach seinem Alter bemisst. Insoweit beeinträchtigt die Tatsache, dass das Unionsrecht der betreffenden Maßnahme entgegensteht und dass diese in einem Tarifvertrag enthalten ist, nicht das in Art. 28 der Grundrechte-Charta anerkannte Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen. In dem darauf ergangenen Urteil vom 10. November 2011 (- 6 AZR 148/09 -) hat der Sechste Senat deshalb in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Der Sechste Senat hatte mit Beschluss vom 20. Mai 2010 (- 6 AZR 319/09 (A) -) ein
weiteres Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung gebeten. Dabei ging es um die Frage, ob sich die – möglicherweise – im BAT enthaltene Altersdiskriminierung in dem zum 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen
TVöD fortsetzt. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 8. September 2011 (- C-297/10 – [Hennigs]) entschieden, dass die Art. 2 und 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG sowie Art. 28 der Grundrechte-Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer in einem
Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, mit der ein Vergütungssystem, das zu einer Diskriminierung wegen des Alters führt, durch ein auf objektive Kriterien gestütztes Vergütungssystem ersetzt
wird und zugleich für einen befristeten Übergangszeitraum einige der diskriminierenden Auswirkungen des erstgenannten Systems bestehen bleiben, um für die bereits in einem Beschäftigungsverhältnis bestehenden Angestellten den Übergang zum neuen
System ohne Einkommensverluste zu gewährleisten. Der Sechste Senat hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 (- 6 AZR 319/09 -) die Einstufungsklage der Klägerin aufgrund der bei Überleitung zutreffend diskriminierungsfrei herangezogenen Lebensaltersstufe in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen abgewiesen.