Außerordentliche Kündigung bei Vermögensschädigung

Begeht der Arbeitnehmer anlässlich eines Personaleinkaufs eine strafbare Handlung zu Lasten des Vermögens seines Arbeitgebers oder schädigt er ihn in ähnlich schwerwiegender Weise vorsätzlich, kann dies eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen. Dies hat der Zweite Senat im Urteil vom 16. Dezember 2010 (- 2 AZR 485/08 -) entschieden.

Die Klägerin hatte nach Ende ihrer Arbeitsschicht beim beklagten Arbeitgeber Waren eingekauft und den Kaufpreis iHv. 36,00 Euro mit produktbezogenen Gutscheinen verrechnet, obwohl sie solche Artikel nicht erworben hatte. Die Gutscheine durften, wie der Klägerin bekannt war, nur unter dieser Voraussetzung verrechnet werden. Die gegen die außerordentliche Kündigung gerichtete Klage blieb vor dem Zweiten Senat erfolglos. Dem Arbeitgeber war eine mildere Reaktionsmöglichkeit in Form einer Abmahnung oder einer ordentlichen Kündigung nicht zumutbar. Der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung stand nicht entgegen, dass der beklagte Arbeitgeber vom Verhalten der Klägerin erst durch Auswertung einer Videoaufnahme Kenntnis erlangt hatte; denn die Beklagte bezog sich vor Gericht vornehmlich auf die Auswertung des Kassenstreifens und auf die Erklärungen der Klägerin im Personalgespräch. Dort hatte sie ihr Verhalten eingeräumt. Der Senat bestätigte seine Rechtsprechung (BAG 13. Dezember 2007 – 2 AZR 537/06 -), wonach die Gerichte grundsätzlich
an das Nichtbestreiten einer Partei gebunden sind. Das schließt aber mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und das im Privatrechtsverkehr zu beachtende Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Parteien nicht aus, der Verwertung zwar unbestrittenen, aber unter der Verletzung von Grundrechten gewonnenen Sachvortrags zu widersprechen. Allerdings verlangt der Schutz des Arbeitnehmers vor einer rechtswidrigen Videoüberwachung nicht in jedem Fall, auch solche unstreitigen Tatsachen außer Acht zu lassen, die dem Arbeitgeber nicht unmittelbar durch die Videoaufzeichnung bekannt geworden sind, sondern durch die Auswertung einer auf dieser nur erkennbar gewordenen anderen Informationsmöglichkeit. Allein der Umstand, dass eine Prozesspartei ihr Wissen von der Geeignetheit eines rechtlich unbedenklichen Mittels auf möglicherweise rechtswidrige Weise erlangt hat, verbietet nicht den Einsatz dieses Mittels zum Nachweis der für sie günstigen Tatsachen. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen. Dies gilt auch für den Ausspruch einer Verdachtskündigung. Eine den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Anklage haben, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht und der
Arbeitgeber bereits zuvor eine Verdachtskündigung erklärt hat. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt mit ausreichender Kenntnis von der verdachtsverstärkenden Tatsache erneut zu laufen. Nach dem Urteil des Zweiten Senats vom 27. Januar 2011 (- 2 AZR 825/09 -) ist das Gericht auch nicht gehindert, seiner Entscheidung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit zugrunde zu legen, auch wenn die Kündigung lediglich mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet worden ist. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt aufzuzeichnen, ist „an sich“ ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Dies gilt sowohl für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr als auch für das wissentlich und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Entscheidend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene schwere Vertrauensbruch. Ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist Gegenstand einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen. Es ist eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen. In dem vom Zweiten Senat (Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 -) entschiedenen Fall hatte die Klägerin an mehreren Tagen hintereinander systematisch und vorsätzlich um insgesamt 135 Minuten falsche Arbeitszeiten angegeben und damit in beträchtlichem Umfang über die erbrachte Arbeitszeit zu täuschen versucht. Eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte war – auch für die Klägerin erkennbar – aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen. Auch die unbeanstandete Betriebszugehörigkeit der Klägerin von rund 17 Jahren, ihr Alter sowie ihre Unterhaltspflicht für eine Person führten angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dies hat der Zweite Senat mit Urteil vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -) entschieden. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Vorsätzliches Verhalten der für dieses Ergebnis objektiv verantwortlichen Person ist nicht erforderlich. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert nicht, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben. Es genügt, dass die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war. Im entschiedenen Fall hat der Kläger die Würde einer Mitarbeiterin verletzt, indem er diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt hat. Dabei ist unmaßgeblich, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte. Die nach § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Interessenabwägung hatte in diesem Fall unter Beachtung des durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen.