Anspruch auf Diskriminierungsauskunft

Durch Beschluss vom 20. Mai 2010 (- 8 AZR 287/08 (A) -) hat der Achte Senat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung gebeten, ob die Beweislastregelungen in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG, Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG es gebieten, einem – erfolglosen – Bewerber, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfüllt, einen Anspruch auf Auskunft gegen den Arbeitgeber einzuräumen, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat, und, wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist.

Im Ausgangsfall hatte die Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG wegen geschlechts-, alters- und ethnisch bedingter Benachteiligung bei einer Stellenbesetzung
geltend gemacht. Aus dem Vortrag der Klägerin ergaben sich keine Indizien, die eine Benachteiligung wegen dieser Diskriminierungsmerkmale gemäß § 22 AGG vermuten ließen. Dem abgelehnten Stellenbewerber steht in einem solchen Fall weder aus § 242 BGB noch aus § 241 Abs. 2 BGB oder nach dem AGG ein Anspruch auf Auskunft gegen den Arbeitgeber zu. Möglicherweise muss ein solcher Anspruch, um den Beweislastregelungen der Richtlinien zu genügen, in unions-rechtskonformer Auslegung des AGG entwickelt werden. Die Nichterteilung der Auskunft könnte dann ggf. als ein Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung angesehen werden.

Durchführungsanspruch

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber die Durchführung einer Betriebsvereinbarung verlangen (vgl. BAG 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 -). Dies setzt nach einer Entscheidung des Ersten Senats vom 18. Mai 2010 (- 1 ABR 6/09 -) voraus, dass der Betriebsrat selbst Partei der Betriebsvereinbarung ist oder ihm durch die Betriebsvereinbarung ausdrücklich eigene Rechte eingeräumt werden.

Der örtliche Betriebsrat hat daher keinen eigenen Anspruch auf Durchführung von Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen, die der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat in originärer Zuständigkeit mit dem Arbeitgeber abgeschlossen hat. Er kann die Einhaltung der durch diese Vereinbarungen gestalteten betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung nur nach § 23 Abs. 3 BetrVG erzwingen. Etwas anderes gilt bei einer Delegation der Regelungsbefugnis gemäß § 50 Abs. 2, § 58 Abs. 2 BetrVG. Da der beauftragte Gesamt- oder Konzernbetriebsrat in diesen Fällen als Vertreter tätig wird, steht der Durchführungsanspruch den beauftragenden Betriebsräten zu.

Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

Der Gesamtbetriebsrat ist für eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betrifft, nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG originär zuständig, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht.

Hiervon ist etwa auszugehen, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Leistung nur betriebsübergreifend bereit ist (BAG 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05 -). Bei einer vom Arbeitgeber beabsichtigten unternehmenseinheitlichen Regelung der Vergütungsstruktur von AT-Angestellten liegt nach einer Entscheidung des Ersten Senats vom 18. Mai 2010 (- 1 ABR 96/08 -) kein zwingendes Erfordernis iSd. § 50 Abs. 1 BetrVG vor. Die Entgeltzahlung an die AT-Angestellten ist keine freiwillige Leistung. Denn der Arbeitgeber muss diese aufgrund individualvertraglicher Vereinbarung oder zumindest nach § 612 Abs. 1 BGB auch dann erbringen, wenn er sich mit dem Betriebsrat über deren Verteilungsgrundsätze nicht einig wird. Der Arbeitgeber kann die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats deshalb nicht dadurch begründen, dass er ein Gesamtbudget für die Vergütung der AT-Angestellten auf Unternehmensebene festlegt. Auch der tarifersetzende Charakter der Vergütungsgrundsätze stellt kein Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche Regelung dar. Gleiches gilt für den arbeits- bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser hat keinen Einfluss auf die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen den Betriebsverfassungsorganen. Er begrenzt lediglich die Regelungsmacht der Betriebsparteien.

Restmandat des Betriebsrats

Im Fall einer Stilllegung des Betriebs bleibt der Betriebsrat nach § 21b BetrVG so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist.

Der Siebte Senat musste sich im Berichtszeitraum mit dem Problem beschäftigen, ob einem Betriebsratsmitglied im Restmandat für die Zeit nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ein Vergütungsanspruch für geleistete Betriebsratstätigkeit zusteht. Der Senat hat dies durch Beschluss vom 5. Mai 2010 (- 7 ABR 728/08 -) für den Fall abgelehnt, dass das Betriebsratsmitglied durch seine Tätigkeit lediglich ein Freizeitopfer erbringt. Zwar erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat nach der Begründung des Restmandats nicht mehr durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses; denn § 24 Nr. 3 BetrVG findet – auch wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses keine Folge der Betriebsstilllegung ist – im Restmandat keine Anwendung. Dennoch fehlt es in diesem Fall an einer gesetzlichen Grundlage für Vergütungsansprüche des Betriebsratsmitglieds. Eine analoge Anwendung von § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG scheidet mangels planwidriger Gesetzeslücke aus, wenn die Betriebsratstätigkeit nur mit einem Freizeitopfer verbunden ist. Aus dem Ehrenamtsprinzip (§ 37 Abs. 1 BetrVG), den Regelungen in § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG sowie dem Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG ergibt sich, dass von Betriebsratsmitgliedern erbrachte Freizeitopfer keinen Entgeltanspruch begründen. Ob das Betriebsratsmitglied einen Ausgleich für Vermögenseinbußen verlangen kann, die dadurch entstehen, dass es sich von einem neuen Arbeitgeber unbezahlt für Tätigkeiten im restmandatierten Betriebsrat freistellen lässt, hat der Senat offen gelassen

Haben Ärzte auch ein Recht auf Freizeit?

Nach § 12 Abs. 4 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) in der bis zum 30. April 2010 geltenden Fassung (seitdem § 12 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA) hat der Arbeitgeber ein Wahlrecht, ob er die für geleistete Bereitschaftsdienste errechnete Arbeitszeit vergütet oder durch Freizeit abgilt.

Der Freizeitausgleich wird gewährt, indem der Arbeitgeber den Arzt von seiner an sich bestehenden Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen, freistellt und so dessen Sollarbeitszeit reduziert. Ist der Arzt nach Ableistung eines Bereitschaftsdienstes aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen an sich zur Arbeitsleistung verpflichtet, kann er aber tatsächlich wegen Einhaltung der Ruhezeit nach § 5 ArbZG nicht zur Arbeit herangezogen werden, kann auch in dieser Zeit Freizeitausgleich erfolgen. Nach einem Urteil des Sechsten Senats vom 22. Juli 2010 (- 6 AZR 78/09 -) steht dem weder der Zweck des Freizeitausgleichs noch § 5 ArbZG entgegen. Die Gewährung von Ruhezeit verlangt nicht, dass der Arzt unentgeltlich von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird. Entscheidend ist lediglich, dass der Arbeitnehmer innerhalb des gesetzlich festgelegten Zeitraums nicht in einem Umfang beansprucht wird, der eine Einstufung als Arbeitszeit begründet. Durch welche vertragliche Gestaltung der Arbeitgeber sicherstellt, dass der Arbeitnehmer während der Ruhezeit nicht zur Arbeitsleistung herangezogen wird, schreibt § 5 ArbZG nicht vor. Auch § 12 Abs. 4 des Tarifvertrags zielt nicht darauf ab, ein „Mehr an Freizeit” zu gewährleisten. Der Arzt hat deshalb keinen Anspruch darauf, nach Ableistung eines Bereitschaftsdienstes zunächst unbezahlte Ruhezeit und anschließend bezahlten Freizeitausgleich gewährt zu bekommen.

Keine „Über-Kreuz-Ablösung“ zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung

Gilt im Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer ein Vergütungstarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, können die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformierten Tarifregelungen nach einem Urteil des Vierten Senats vom 21. April 2010 (- 4 AZR 768/08 -) nicht durch eine beim Betriebserwerber geltende ungünstigere Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden.

Eine „Über-Kreuz-Ablösung“ von Tarifnormen durch eine Betriebsvereinbarung ist jedenfalls außerhalb des Bereichs zwingender Mitbestimmung ausgeschlossen. Damit hat sich der Vierte Senat der Rechtsprechung des Ersten und des Dritten Senats angeschlossen (vgl. BAG 6. November 2007 – 1 AZR 862/06 -; 13. November 2007 – 3 AZR 191/06 -). Zudem hat er in der Entscheidung an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach auch bereits vereinbarte, aber erst später wirksam werdende Rechte und Pflichten, die in Normen eines Tarifvertrags geregelt sind, nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zum Inhalt des Arbeitsvertrags mit dem Betriebserwerber werden (BAG 19. September 2007 – 4 AZR 711/06 -). Eine in den statisch fortgeltenden Normen selbst angelegte Dynamik bleibt folglich aufrechterhalten

Tendenzträger

Beschäftigte sind Tendenzträger, wenn die Bestimmungen und Zwecke der in § 118 Abs. 1 BetrVG genannten Unternehmen und Betriebe für ihre Tätigkeit inhaltlich prägend sind (vgl. BAG 13. Februar 2007 – 1 ABR 14/06 -).

Anzeigenredakteure sind danach Tendenzträger, wenn sie entweder durch eigene Veröffentlichungen oder die Auswahl und das Redigieren von Beiträgen und Texten Dritter auf die Tendenzverwirklichung des Verlagsunternehmens unmittelbar inhaltlich Einfluss nehmen. Dies hat der Erste Senat mit Beschluss vom 20. April 2010 (- 1 ABR 78/08 -) entschieden. Der Schutzbereich der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst auch den Anzeigenteil einer Tageszeitung. Maßgebend für die Tendenzträgereigenschaft ist die Einflussnahme der Anzeigenredakteure auf den Inhalt des Presseerzeugnisses und nicht ihre organisatorische Einbindung in den Verlag. Im Streitfall hat der Senat daher ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei der Durchführung von betrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen nach § 98 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 BetrVG für die Redakteure verneint, da dies die Tendenzverwirklichung beeinträchtigen würde.

Vertragsstrafenabrede und AGB

Eine Vertragsstrafenabrede in einem Formulararbeitsvertrag benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie eine Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatsverdienstes für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer sein während der Probezeit mit zweiwöchiger Kündigungsfrist kündbares Arbeitsverhältnis vorzeitig vertragswidrig beendet (BAG 4. März 2004 – 8 AZR 196/03 -).

Dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis tatsächlich erst nach Ablauf der Probezeit unter der Geltung einer Kündigungsfrist von 12 Wochen zum Monatsende vorzeitig vertragswidrig beendet, ändert nach einer Entscheidung des Achten Senats vom 23. September 2010 (- 8 AZR 897/08 -) an der Unwirksamkeit der Klausel nichts. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit ist der Vertragsschluss. Eine Teilung der Klausel in einen zulässigen Regelungsteil vor und einen unzulässigen nach Ablauf der Probezeit scheidet aus. Eine geltungserhaltende Reduktion für die Zeit, in der die Probezeitkündigungsfrist nicht mehr gilt, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Eine Aufrechterhaltung der Klausel mit einem – eingeschränkt – zulässigen Inhalt wäre mit dem Schutzzweck der §§ 305 ff. BGB nicht vereinbar. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung ist nicht möglich, da das Risiko der Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen dann nicht mehr beim Verwender läge.

Parteipolitische Betätigung

Betriebsrat und Arbeitgeber haben nach § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen. Die Verletzung des parteipolitischen Neutralitätsgebots durch den Betriebsrat begründet nach einem Beschluss des Siebten Senats vom 17. März 2010 (- 7 ABR 95/08 -) keinen Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers gegen den Betriebsrat.

Damit hat der Senat die frühere Rechtsprechung zu § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aufgegeben (BAG 12. Juni 1986 – 6 ABR 67/84 -). Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, wer Inhaber eines solchen Anspruchs sein könnte. Auch das Konzept des § 23 BetrVG sieht einen wegen der Vermögenslosigkeit des Betriebsrats ohnehin nicht vollstreckbaren Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers nicht vor. Der Arbeitgeber kann bei einem groben Verstoß des Betriebsrats gegen die nach § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG bestehenden Pflichten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Auflösung des Betriebsrats beantragen. Im Übrigen hat er die Möglichkeit, die Unzulässigkeit der Betätigung des Betriebsrats nach § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich feststellen zu lassen. Eine entsprechende Feststellung ist bei einer späteren gleichartigen Pflichtverletzung des Betriebsrats von erheblicher Bedeutung für einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers. Offen gelassen hat der Senat, ob auch künftig noch daran festzuhalten ist, dass schon das Eintreten für oder gegen eine bestimmte politische Richtung – unabhängig von einem konkreten Bezug zu einer politischen Partei – unter § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG fällt (vgl. BAG 12. Juni 1986 – 6 ABR 67/84 -). Jedenfalls untersagt die Norm nicht Äußerungen allgemeinpolitischer Art, die eine politische Partei, Gruppierung oder Richtung weder unterstützen noch sich gegen sie wenden. Der Betriebsrat verstößt deshalb allein durch einen an die Mitarbeiter des Betriebs gerichteten Aufruf, sich an einer bevorstehenden politischen Wahl oder Abstimmung zu beteiligen, nicht gegen das parteipolitische Neutralitätsgebot.

Schwarzgeldabrede nicht zwingend Nettolohnabrede

Die Abrede, die Arbeitsvergütung ohne Berücksichtigung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen („schwarz”) auszuzahlen, stellt nach einem Urteil des Fünften Senats vom 17. März 2010 (- 5 AZR 301/09 -) für sich genommen noch keine Nettolohnabrede dar.

Die Arbeitsvertragsparteien bezwecken mit einer Schwarzgeldabrede lediglich, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu hinterziehen, nicht jedoch deren Übernahme durch den Arbeitgeber. Auch aus § 14 Abs. 2 SGB IV folgt keine Nettolohnvereinbarung. Danach gilt bei einem illegal beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen der Berechnung der nachzufordernden Gesamtsozialversicherungsbeiträge zwar ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Diese Fiktion betrifft aber nur das Sozialversicherungsrecht und erstreckt sich nicht auf das bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien.