Tarifpluralität liegt vor, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge für Arbeitsverhältnisse derselben Art erfasst wird, an die der Arbeitgeber gebunden ist, während für den jeweiligen Arbeitnehmer je nach Tarifgebundenheit nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung findet.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Vierten Senats stand einer Tarifpluralität der Grundsatz der Tarifeinheit entgegen. Danach sollte in einem Betrieb grundsätzlich nur ein Tarifvertrag Anwendung finden. Eine Tarifpluralität wurde daher idR dahin aufgelöst, dass der speziellere, dh. der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stehende Tarifvertrag den anderen verdrängte (vgl. nur BAG 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 -). Mit Beschluss vom 27. Januar 2010 (- 4 AZR 549/08 (A) -) hat der Vierte Senat mitgeteilt, dass er diese Rechtsprechung aufgeben möchte. Tarifliche Normen, die den Inhalt, Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, sollen auch bei einer auf die Tarifbindung des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG zurückzuführenden Tarifpluralität in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen zur Anwendung kommen. Da der Senat damit von der bisherigen Rechtsprechung des Zehnten Senats abwich, hat er nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG eine Divergenzanfrage an diesen gerichtet. Der Zehnte Senat hat sich durch Beschluss vom 23. Juni 2010 (- 10 AS 2/10 -) der geänderten Auffassung des Vierten Senats an geschlossen. Mit Urteil vom 7. Juli 2010 (- 4 AZR 549/08 -) hat der Vierte Senat daher seine Ankündigung umgesetzt. Die durch das TVG vorgesehene unmittelbare und zwingende Geltung von Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, kann auch bei einer aufgrund unmittelbarer Tarifbindung des Arbeitgebers eingetretenen Tarifpluralität nicht durch den Grundsatz der Tarifeinheit verdrängt werden. Dieser Grundsatz lässt sich weder auf eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsgrundlage noch auf übergeordnete Prinzipien der Rechtssicherheit oder der Rechtsklarheit stützen. Auch die Voraussetzungen für eine richterliche Rechtsfortbildung oder eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung liegen nicht vor. Zudem stellt die Verdrängung eines von einer Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrags nach dem Grundsatz der Tarifeinheit sowohl einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaft nach Art. 9 Abs. 3 GG als auch in die individuelle Koalitionsfreiheit des an diesen gebundenen Gewerkschaftsmitglieds dar. Weder dem Tarifvertragsgesetz noch Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich eine rechtlich verbindliche Vorgabe der betriebseinheitlichen Geltung von Tarifnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, entnehmen. Die Ordnungsfunktion von Tarifverträgen ist entsprechend der von Verfassungs wegen vorgegebenen mitgliedschaftlichen Struktur der Koalitionen auf die unmittelbar Tarifgebundenen beschränkt.
Der Grundsatz einer betrieblichen Tarifeinheit ist auch kein verfassungsrechtliches Element der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie. Dem steht entgegen, dass die Koalitionsfreiheit in erster Linie als Freiheitsgrundrecht strukturiert und auf einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Koalitionen angelegt ist.